Kindheit zwischen Blumenteppich und Weihrauch
Als Kind freute ich mich schon ab Ostern auf dieses Fest – immerhin 60 Tage Vorfreude!
Jedes Jahr durfte ich mein Blumenkörbchen mit Blütenblättern der Pfingstrosen aus Mamas Garten füllen.
Pünktlich hatten sich die Blüten geöffnet. Sie waren riesig. Mama hatte sie abgeschnitten und ich durfte dann alle Blütenblätter herauszupfen. Zartrosa und dunkles Pink, ganz weich und kühl fühlten sie sich an. Bis mein Körbchen vollgefüllt war.

Blütenblätter auf Asphalt
Bei der Prozession ging ich gemeinsam mit den anderen Mädchen direkt vor den Messdienern und Priestern und streute meine Blütenblätter auf den Weg.
Alle Priester gingen unter einem Baldachin und trugen besonders prächtige Messgewänder. In der Juni-Hitze sehr anstrengend. Abwechselnd trugen sie in der sogenannten Monstranz, einem prunkvollen Ausstellungsgefäß, den “Leib Christi”, wie die geweihte Hostie in der katholischen Kirche genannt wird.
Auch ich war festlich gekleidet. Entweder hatte meine Mutter ein neues Kleid genäht oder ich trug mein Kommunionkleid, so lange es noch passte.
Die Prozession zu Fronleichnam, wie das Fest heißt, begann direkt im Anschluss an den Gottesdienst, der nicht in der Gemeindekirche stattfand, sondern für alle Gemeinden der ganzen Stadt gemeinsam auf einem großen Platz in der Innenstadt. Der anschließende Weg führte quer durch die Stadt und endete in einem Park, in dem ein buntes Volksfest vorbereitet war, auf das ich mich auch jedes Jahr sehr freute.
Kassel – meine Geburtsstadt – ist katholische Diaspora – und entsprechend eigenartig fanden schon damals viele meiner Klassenkameradinnen dieses Zur-Schau-Stellen des Glaubens – mit den merkwürdigen Gewändern, dem Weihrauch, dem Klingeln der Messdienerschellen und den Gesängen über Megaphon oder Lautsprecher. Ganz zu schweigen von den Blumen, die gestreut wurden – das gab es sonst ja nur bei Hochzeiten.
Je älter ich wurde, umso merkwürdiger empfand ich es auch selbst. Die Absicht war mir klar – der Glaube an Jesus Christus sollte öffentlich gezeigt werden; die Gläubigen wollten (oder sollten?) ihre Zugehörigkeit klar sichtbar machen und andere motivieren, dazu zu kommen. Als Teenager wurde mir diese Art der Außendarstellung aber immer fremder und unzeitgemäßer.
Was feiern wir da eigentlich?
Info: Fronleichnam
Fronleichnam ist ein katholisches Hochfest, bei dem die Gegenwart Christi in der Eucharistie gefeiert wird – also in Brot und Wein, die im Gottesdienst gesegnet und als „Leib und Blut Christi“ verstanden werden.
Der Name „Fronleichnam“ stammt aus dem Mittelhochdeutschen: vrône bedeutet „des Herrn“, lichnam heißt „Leib“. Wörtlich übersetzt bedeutet Fronleichnam also: „Leib des Herrn“.
Das Fest geht nicht – wie etwa Ostern oder Pfingsten – auf ein konkretes Ereignis im Leben Jesu zurück. Es entstand vielmehr aus der mittelalterlichen Frömmigkeit. Eine Augustinernonne setzte sich für ein eigenes Fest zu Ehren der Eucharistie ein. Im Jahr 1264 führte Papst Urban IV. Fronleichnam als Fest für die gesamte katholische Kirche ein.
Bis heute wird es am zweiten Donnerstag nach Pfingsten, also 60 Tage nach Ostern, gefeiert.
In vielen Gemeinden ist Fronleichnam ein besonders sinnliches Fest: Die Menschen versammeln sich zu einer feierlichen Prozession, bei der die geweihte Hostie – also das eucharistische Brot – in einer kostbar verzierten Monstranz durch die Straßen getragen wird.
Dieses sichtbare Zeichen soll ausdrücken: Christus ist mitten unter uns. Musik, Gesänge, Blumenstreuen und geschmückte Altäre entlang des Weges unterstreichen die Feierlichkeit.
In Deutschland ist Fronleichnam nicht überall gesetzlicher Feiertag. In katholisch geprägten Bundesländern wie Bayern, Hessen oder Nordrhein-Westfalen ist er arbeitsfrei. In anderen Regionen – zum Beispiel in Sachsen oder Thüringen – wird das Fest nur in einzelnen Gegenden mit starker katholischer Prägung, wie etwa im Eichsfeld, begangen.
(Quelle: ekd.de – Basiswissen Glauben: Fronleichnam, kirche-in-not.de)

Farbenfrohe Spektakel zwischen Kirmes und Kult
Wie Glaube weltweit gefeiert wird
Jahre später – inzwischen nicht mehr ganz so fest in kirchlichen Festen und Ritualen verankert, sondern kritisch-distanzierter unterwegs – erlebte ich auf Reisen immer wieder Feste, die mich irgendwie an Fronleichnam erinnerten.
Fiesta am Lago de Atitlan
Jesus in der Badehose und ein Kinderkarussell
Manchmal stolpert man mitten hinein – so auch in Panajachel, Guatemala: Eigentlich bin ich nur auf dem Weg zum See, doch plötzlich stehe ich inmitten einer „Fiesta“, die nach allem aussieht – nur nicht nach christlichem Feiertag. Und doch erinnert vieles an Fronleichnam – oder an Karneval mit Heiligenschein: Masken, Musik, Rauchschwaden, bunte Kostüme, Heiligenstatuen, tanzende Menschen und kreisende Flaschen mit Hochprozentigem. Laut, fröhlich, völlig losgelöst – mit einem kräftigen Schuss indigener Spiritualität.
Es riecht nach – Copal – ein Harz, das wie Weihrauch qualmt, in Mittelamerika aber den Spirit der Vorfahren beschwört. Rauch und Rum tun ihr Übriges – die Menschen schwanken, lachen, feiern. Und alles bleibt friedlich.
Selbst ein Kinderkarussell dreht sich am Ende der Prozession. Der Anlass? Der Namenstag des Heiligen Franziskus – inklusive Jesusstatue in Badehose und Umhang. Vielleicht wegen der Nähe zum See?
Anderer Kontinent, vertrautes Gefühl
Elefanten im Goldornat und ein Minister für Volkstanz
Wieder eine Reihe Jahre später – diesmal in Sri Lanka – finde ich mich erneut inmitten einer religiösen Prozession wieder: einer Perahera.
Im kleinen Dorf Sinigama zieht ein gut 1,5 Kilometer langer Festzug vorbei, um Buddha zu ehren – mit prächtig geschmückten Elefanten, Trommlern, Akrobaten und tanzenden Schulkindern in traumhaften Kostümen. Kein Wunder, denn Volkstanz ist Schulpflicht, es gibt sogar einen eigenen Minister dafür!
Frauen und Mädchen haben klar verteilte Rollen: Die Jüngeren tanzen, die Älteren leiten an oder tragen Fahnen – darunter die National- und die buddhistische Flagge. Auch Jungs tanzen – teils in Glitzer-Outfits à la Michael Jackson, teils in traditionellen Masken oder Prinzenkostümen. Selbst betagte Männer mischen noch mit, viele auf Stelzen, manche mit Feuer, alle mit Begeisterung.
Die Elefanten – etwas bemitleidenswert – tragen schwere, goldbestickte Stoffhüllen, sogar über den Ohren. Das soll sie vor Lärm schützen, damit sie nicht durchdrehen. Auf ihren Rücken thronen Schreine, begleitet von Wagen mit Buddha-Darstellungen. Zuschauer beten und werfen Münzen.
Und die Stimmung? Bombastisch!
Entlang der Strecke jubeln Menschen wie beim Straßenkarneval, begleitet von Dauertrommeln und asiatisch-afrikanisch anmutender Musik. Ein Fest für alle Sinne!
Groß, laut, überwältigend – und erneut das Gefühl: Andere Kultur, anderer Ausdruck – aber irgendwie doch dieselbe tiefe menschliche Sehnsucht nach Sinn, Verbindung und Feier.
Hier und Heute – ist Fronleichnam noch zeitgemäß?
Zurück zum heutigen katholischen Feiertag.
Vielleicht ist Fronleichnam so schwer zu erklären, weil er nicht „verstanden“ werden will. Vielleicht will er – wie viele Rituale – einfach erlebt werden.
Und vielleicht fragt er uns: Was ist dir heilig? Und wie zeigst du das – dir selbst und der Welt? Wofür gehst du auf die Straße?
Rituale begegnen uns nicht nur in der Kirche. Auch Konzerte, Demos oder Trauerfeiern folgen einer eigenen Dramaturgie.
Was sie alle verbindet – und wie Rituale heute Gemeinschaft stiften, Zugehörigkeit markieren oder Protest sichtbar machen –, darüber schreibe ich im nächsten Beitrag.

Diese Gedanken zu Fronleichnam setzen meine Reihe von Blogbeiträgen zu christlichen Festen fort. Ich versuche, eine Verbindung zwischen überlieferten Traditionen und aktueller Deutung herzustellen, um wertvolle Aspekte wieder be-greifbar zu machen.
Bisher veröffentlicht:
Karfreitag: Wer hält den Himmel fest?
zu Ostern: Könnte ja gut werden
Himmelfahrt: Eine Brücke zum Himmel
Pfingsten: Vielfalt verstehen und begeistert leben
Die Reihe wird fortgesetzt.
(Quelle für die Fotos: Beitragsbild: Stephanie Braun; übrige Bilder: selbst)

Ich bin SeelenFürSorgerin und Coach
und auch Künstlerin, Bloggerin und Wahl-Ostfriesin.
Als Theologin und Pädagogin begleite ich Menschen auf ihrem Veränderungsweg
und verschenke auf meinem Blog Lächel-Impulse für mehr Lebensfreude.
Monatlich am 27. erscheint mein Lächel-Letter, den Du hier abonnieren kannst.
Wenn Du individuelle Unterstützung beim Wiederfinden Deiner Lebensfreude möchtest
oder bei der Suche nach Deinem Sinn im Leben – dann schreib mir eine Mail.
Im 1:1 Coaching online oder live begleite ich dich ein Stück auf Deinem Weg zu Dir selbst.
Dann bin ich für Dich da – mit Herzenswärme, Humor und viel Geduld.
Ich höre, staune und bin bewegt. Deine Kindheitserinnerungen könnten meine sein. Sogar ein Foto erinnert mich an ein Fronleichnamsfest im schönen Perlonkleidchen und Blumenkörbchen. Fronleichnamsgefühle veränderten sich auch bin mir und ob die Prozession heute noch zeitgemäß ist……………….Auf diese Frage hätte ich gerne eine Antwort. Danke Dir, liebe Lydia für Deine Impressionen rund um Deine Fronleichnamsgefühle.
Margaretha
Liebe Margaretha –
Das Perlonkleidchen – oh jaaaa – das schubst mich jetzt auch noch mal zurück in die Zeit, als alles anders – und nicht unbedingt besser war.
Ob Prozessionen noch zeitgemäß sind – und wie das mit dem öffentlich präsentierten Glauben an Fronleichnam ist …
Ich denke, wenn es Menschen miteinander in Verbindung bringt und sie dadurch Halt für ihr Leben spüren – dann antworte ich „Ja“.
Wenn es um Macht und stures Festhalten am ewig Gestrigen geht – dann fällt die Antwort anders aus.
„Wozu“ – meine Lieblingsfrage – hilft mir beim Sortieren der Gedanken.
Ein paar davon kannst du dann im nächsten Beitrag über Rituale finden.
Ich bin gespannt, was du dazu dann sagen wirst.