Im Sessel
November 2024:
Ich habe es mir gemütlich gemacht, die Beleuchtung ein bisschen reduziert, die Duftlampe mit zitronigem Öl bestückt und eine Tasse Tee neben mir stehen.
Chai mit ein bisschen Honig und Milch – wunderbar wärmend.
Ich sortiere die Unterlagen, die ich nach dem Tod meiner Mutter vor sechs Jahren aus ihrer Wohnung mitgenommen und bisher nicht genauer angeschaut habe.
Briefe und Postkarten habe ich schon durch – jetzt geht es an die Hefte und Büchlein, die dabei liegen.
Ein kleines, schmales, orange-meliertes Buch fällt mir auf.
Das hatte ich bisher noch gar nicht richtig wahrgenommen.
„Poesie“ steht außen drauf und das macht mich neugierig.
Hier und da geflickt mit Tesafilm sieht es ein bisschen mitgenommen aus.
Ich schlage es auf.
„Eigentum Luzie Zurczak Kl. Mansfeld, den 26.1.35“
steht auf der ersten Seite in wundervoll verschnörkelter Schrift – mit schwarzer Tinte geschrieben.
Am zwölften Geburtstag meiner Mutter.
Völlig fasziniert blättere ich durch das Büchlein.
Mehr als 30 Einträge enthält es – in lateinischer Schrift, in Sütterlin, in schöner und in gruseliger Handschrift.
Auch die Sprüche und Verse, die hineingeschrieben sind, pendeln zwischen tief christlichen oder sehr plumpen Alltagsfloskeln, Kindersprüchen und wirklichen Lebensweisheiten.
Ich tauche ein in Namen, die ich aus Gesprächen mit meiner Mutter in Erinnerung habe – Freundinnen, Lehrer, Familienmitglieder; Menschen aus Zeiten vor meiner Zeit,
aus Zeiten, wo meine Mutter selbst gerade vom Kind zur Jugendlichen, zur jungen Frau wurde.
Es erschreckt mich, Sätze zu lesen wie
„der Jungfrau wahre Wissenschaft ist Häuslichkeit, die immer schafft –
der Jungfrau aller schönstes Kleid ist ungeschminkte Einfachheit –
der Jungfrau aller schönste Tugend ist lilienrein bewahrte Jugend“,
atmen sie doch den Zeitgeist, in dem Frauen zwischen den großen Kriegen aufwuchsen.
Selbstverständlich stammt diese Eintragung vom – Ortspfarrer.
Eine Reihe der Schreiber und Schreiberinnen habe ich mehr als dreißig Jahre später auch persönlich kennengelernt.
Es fühlt sich surreal an, ihren damals ausgewählten Spruch mit ihrem späteren Verhalten und Lebensweg abzugleichen.
Wie zum Beispiel bei dem Verwandten, der schrieb:
„bei allem deinem Thun lass nie die Vorsicht ruh‘n“,
Später wurde er Alkoholiker, wirkte immer bedrohlich auf mich
und war wohl der Gewalt nicht abgeneigt.
Am stärksten beeindrucken mich – wieder einmal – die Worte, die meine Urgroßmutter Johanna hineingeschrieben hat. Sie stammen von Julius Sturm:
„Sucht dich die Freude, grüße sie, sie schmückt das Erdenleben;
Gib Raum ihr, doch vergiss es nie, dass Flügel ihr gegeben.
Und wenn dich Leid und Weh ereilt, musst sie geduldig tragen
Und hoffen, dass die Wunden heilt, die Hand, die sie geschlagen.“
Den letzten Satz verstehe ich bis heute nicht wirklich – oder will ihn lieber nicht verstehen …
Die letzten beiden Einträge stammen aus dem März 1939 –
danach ging meine Mutter (mit 16 Jahren) nach Kassel „in Stellung“.
Aber diese Geschichte wird woanders erzählt. 😉
Ich schließe das Büchlein und habe es noch den ganzen restlichen Tag im Kopf.
Ich sehe förmlich vor mir, wie meine Mutter an ihrem zwölften Geburtstag das Poesie-Album erhält und in aller schönster Schnörkelschrift ihren Namen hinein malt. Und wie sie es dann reihum gibt, damit die Menschen, die ihr am Wichtigsten sind, für sie eine Widmung schreiben.
Wie sie dann aufgeregt das Büchlein von jedem zurück bekommt und gespannt nachschlägt, was geschrieben wurde.
Bei allem historischen Abstand, bei aller Irritation über frühere Rollenbilder und fromme Sprüche – ich bin sicher, dass jede Schreiberin und jeder Schreiber meiner Mutter gute Wünsche mitgeben wollte – es gut mit ihr meinte.
Und so kann ich dann doch lächeln über dieses alte Buch – ein ganz klein wenig.
Das Öffnen eines kleinen Büchleins kann viele Gedanken auslösen,
und auch ein kleines Lächeln
Ich bin Artist | Blogger | Coach – und Wahl-Ostfriesin und biete
Lebensberatung und Persönlichkeitscoaching live und online an.
Lächel-Impulse für mehr Leichtigkeit und Lebensfreude
kannst Du auf meinem Blog finden.
Als Künstlerin freue ich mich, Dir meine Bilder zu zeigen,
als Bloggerin erzähle ich Alltagserlebnisse oder meine Gedanken
Oder ich schicke Dir das Lächeln frei Haus – als Lächel-Letter,
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auf Deiner individuellen Suche danach.