Kein Urlaub, aber eine Auszeit vom Alltag
Wusstest Du schon, dass man als Rentnerin keinen „Urlaub“ machen kann?
Die Definition dieses Wortes schließt das aus.
Der Begriff „Urlaub“
leitet sich vom mittelhochdeutschen Wort „Urloup“ ab, was „Erlaubnis“ bedeutet. Ursprünglich war Urlaub die Erlaubnis, einen Dienst oder eine Arbeit vorübergehend zu verlassen.
„Ferien“ hingegen leitet sich vom lateinischen „feriae“ ab, was „freie Tage“ oder „Ruhetage“ bedeutet.
Im Laufe der Zeit hat sich die Bedeutung von „Urlaub“ erweitert und bezeichnet heute eine dienst- oder arbeitsfreie Zeit, die der Erholung dient.
Quelle: Wikipedia
Wäre ich – mit diesem Wissen – besser vorbereitet gewesen auf das, was passierte?
Sicher nicht. Denn die potentielle Bedrohung der Erholung durch Unerwartetes ist uns ja „eigentlich“ immer bewusst.
Eigentlich …
Theorie ist was Feines. Da kann man sich alle „richtigen“ Reaktionen zurecht legen und mentale Pseudo-Sicherheit aufbauen. Hilft gut – bis die Realität zuschlägt.
Verspäteten Zügen und geschlossenen Speisewagen begegnet man präventiv mit 1-2 Litern Wasser in Flaschen und einer gut gefüllten Proviantdose.
Geschlossenen Zugtoiletten beugt man vor mit … nein – Windeln führen mir hier definitiv zu weit!
Dass es im Urlaub dennoch genau um die gehen würde, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Beginnen wir doch mal mit dem guten Ende
Am Ende wird alles gut!
Ja – so trösten wir uns oft mittendrin, wenn die Wellen mal wieder hoch gehen.
Und meistens stimmt es ja auch – es gibt ein gutes Ende.
In diesem konkreten Fall sagte mein Reisegefährte als wir uns nach knapp drei Wochen trennten „das war ein wirklich schöner Urlaub!“
Seine wohltuend naive Sicht auf die Dinge macht mich jedes mal wieder sprachlos und ist auf der anderen Seite für mich ein Vorbild für echt empfundene Dankbarkeit und Lebensfreude.
Er sieht die positiven Erlebnisse, bewahrt sie auf in der Erinnerung und kramt sie wieder hervor, um sich – und andere – daran und damit zu erfreuen.
Begrenzte Möglichkeiten
Mein Reisegefährte (= mein „kleiner“ Bruder) hat, wegen Sauerstoffmangels, seit seiner Geburt vielfältige Einschränkungen. Sprachlich, feinmotorisch, kognitiv, und auch beim Sehen klappt nicht alles perfekt. Seit knapp 10 Jahren lebt er in einer Wohngruppe in einer anderen Stadt als ich und geht tagsüber in eine „Werkstatt“.
Seit vielen Jahren fahren wir gemeinsam zu zweit in den Urlaub. Ich bin dann nicht nur rechtliche sondern auch praktische Betreuerin – und kenne mich in dieser Rolle seit frühester Kindheit gut aus.
Wir lieben beide das Wandern, Chor- und Orchester-Konzerte und Wellness in Schwimmbad und Sauna. Beste Voraussetzungen um gemeinsam zu verreisen – und Freude zu erleben.
So stand für die erste Woche Urlaub eine Wander- und Wellness-Woche im Gasteiner Tal im Kalender – 7 Stunden Zugfahrt entfernt.
Seine Freude an den „ganz normalen“ Dingen ist sehr ansteckend und kitzelt meine Dankbarkeit auch an Tagen heraus, die nicht so optimal verlaufen. Zum Beispiel die Zugreisetage – deren Erlebnisse er anschließend in bester Regenbogenpresse-Manier jedem erzählt, der sich dafür anbietet. So wie ein Schulkind gerne mal mit riskanten und unerwarteten Erlebnissen prahlt und einen Abenteuerurlaub daraus konstruiert.
Das Leben genießen – und Grenzen übersehen
Vor lauter Begeisterung und Freude schießt man manchmal übers Ziel hinaus. Das ist uns passiert, als wir mit der Wandergruppe, der wir uns angeschlossen hatten, einen Barfußspaziergang machten. Unzweifelhaft ein Erlebnis für alle Sinne, und eine Herausforderung für den ganzen Körper, das gesamte System.
Für meinen Bruder war es zu viel. Das Ergebnis war der plötzliche Bedarf an Windeln, ein Notfall-Arztbesuch am nächsten Tag, ein Dauer-Katheder und ein Großeinkauf beim Sanitätshaus.
Sinnvolle Entscheidungen treffen – auf welcher Grundlage?
Die Entscheidung, den Urlaub am vierten Tag abzubrechen, stand im Raum. Groß und mächtig raubte das Gedankenkarussell mir Schlaf, Freude und jeglichen Urlaubsgenuss.
Rückblickend bin ich froh, die tatsächlichen praktischen Konsequenzen der Entscheidung nicht im Mindesten vorher überblickt zu haben.
Auf der Basis des aktuellen Wissens und Spürens entschied ich die Fortsetzung.
Warum?
– Mein Reisegefährte war putzmunter und keineswegs unglücklich mit der Situation
– Medizinisch konnte zu diesem Zeitpunkt nichts getan werden – außer abwarten (und Tee trinken) und den Katheder gut versorgen
– für die zweite Woche Urlaub war Familientreffen mit dem „großen“ Bruder geplant (weitere 4 Stunden Zugfahrt entfernt). Die beiden können sich nicht aus eigener Kraft besuchen. Zu weit, zu alt, zu eingeschränkt.
Der Gedanke an „die womöglich letzte Gelegenheit, sich zu treffen“ ging mir immer wieder durch den Kopf – und die wollte ich auch für einen sehr hohen persönlichen Preis ermöglichen.
Und wo bleibe ich? und mein Urlaub?
Von außen betrachtet verlief der weitere Urlaub relativ normal. Keine Katastrophen bei den Zugfahrten, keine weiteren Erkrankungen oder Wehwehchen, nette Gruppe, tolles Essen, sehr angenehmes Wetter, …
Allerdings auch
– kein Schwimmbad oder Sauna
– hoher Pflegeaufwand und Dauer-Beaufsichtigung erforderlich
– keinerlei Me-Time mehr für mich
– Rest-Sorgen, ob eine schwerwiegende Erkrankung dahintersteckt
Meine eigene Wahrnehmung war eher der einer Rund-um-die-Uhr-Pflegekraft als der einer Urlauberin.
Wie geht Lebensfreude, wenn es eng wird?
Und:
es war eine sehr schöne Zeit! Auch für mich!
Sicher trägt die „Verklärung der Vergangenheit“ dazu bei –
es ist aber Fakt dass ich unendlich viele gute, freudige und berührende Momente erlebte:
– bei der Fahrt mit der Gondelbahn durch die Wolken
– mitten im Nebel-Regen auf dem Berggipfel stehend, die durchbrechende Sonne sehen,
– beim super-leckeren Abendessen,
– bei inspirierenden Gesprächen mit den anderen Gruppenteilnehmern,
– beim gemeinsamen Film anschauen statt Saunagang,
– beim Beobachten der beiden Brüder, die Arm in Arm einen Wanderweg entlang gehen,
– beim Anblick der tiefen, kindlichen Freude auf dem Gesicht meines Bruders …
So kann es funktionieren
Ich hatte viel Zeit zum Reflektieren – unter anderem auf der 10-stündigen Rückfahrt am Ende des Urlaubs.
Für mich waren folgende Denk- und Verhaltensweisen am hilfreichsten, um auch mitten in der Herausforderung Energie zu tanken und Lebensfreude zu empfinden:
Am Ende wird alles gut?
Ja, tatsächlich. Am Ende ist irgendwie alles gut.
Unser Geschwistertreffen war wirklich für alle toll. Sobald ich den Fokus weg von der pflegerischen Ausnahmesituation nehme, ist auch in meiner Rückschau alles gut und es waren wundervolle Tage voller Sommer, Genuss, Gesprächen, Lachen und leckerem Wein.
Eine traumschöne Landschaft beruhigte Seele und Geist und ließ Entspannung fühlen. Auch in kleinen Dosierungen ist das wohltuend.
Die gesundheitliche Situation meines Reisebegleiters hat sich sofort nach seiner Rückkehr in die gewohnte Umgebung zu 100 % stabilisiert. Er bleibt bei der Aussage, dass es ein wunderbarer Urlaub war – und dass ihn der Katheder gar nicht gestört habe …
Ich selbst bin fitter heimgekehrt als losgefahren – die „vielseitige“ körperliche Bewegung wirkte wie ein Fitnesstraining und ich habe erfahren, dass ich mich in Ausnahmesituationen auf mich verlassen kann.
Und meine Lebensfreude?
Erstaunlicherweise hätte ich ohne diese unerwünschte Herausforderung sicher auch nicht mehr Lebensfreude mit nach hause gebracht.
Im Gegenteil – gerade die emotionalen Wellen, die ich durchlebt habe, haben mich offener und empfänglicher gemacht fürs Spüren:
– Die beiden Open-Air-Konzerte, die wir besucht haben, rührten mich zu Tränen – ich fühlte mich lebendig wie schon lange nicht mehr.
– Die Hilfsbereitschaft der Wandergruppe, ihre Anerkennung und Wertschätzung haben mich tief dankbar gemacht. Viel stärker, als wenn alles „nach Plan“ abgelaufen wäre.
– Die kindliche Fröhlichkeit meines Bruders (trotz der Einschränkung, keine Sauna oder Schwimmbad besuchen zu können) hat mich immer wieder neu beeindruckt und ist mir ein wirkliches Vorbild. Wie oft hadere ich mit Alltagskrempel, der keine Aufregung wert ist …
War es nun Urlaub?
Nein – für mich nicht. Es war eine Auszeit vom Alltag.
Und es war eine Zeit voller Lebensfreude.
Die von der „tiefen“ Sorte – die nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, aber umso länger hält.
Dieser Beitrag ist Teil meiner Blogparade #Lebensfreude2025
und inspiriert von Claudia von der Wehd
mit ihrem Blogbeitrag „Lebensfreude – stille Kraft aus der Mitte“.
Ihr Schluss-Satz dort ist auch die Essenz meines Erlebens:
Lebensfreude entsteht nicht, wenn alles perfekt ist, sondern wenn das Wesentliche Platz bekommt.


Ich bin Theologin, Pädagogin und Coach
und auch Künstlerin, Bloggerin und Wahl-Ostfriesin.
Mit viel Herz zum Zuhören, Trösten, Mut machen und Fragen stellen
motiviere ich, unterstütze beim Gedanken sortieren und verbreite Freude.
Dafür verschenke ich auf meinem Blog Lächel-Impulse für mehr Lebensfreude
und sende monatlich am 27. meinen Lächel-Letter in die Welt, den Du hier abonnieren kannst.
Wenn Du individuelle Unterstützung beim Wiederfinden Deiner Lebensfreude möchtest
oder bei der Suche nach Deinem Sinn im Leben – dann schreib mir eine Mail.
Im 1:1 Coaching online oder live begleite ich dich ein Stück auf Deinem Weg zu Dir selbst.
Was für eine erlebnisreiche „Lebensfreudezeit“ Du hattest, liebe Lydia.
Dass Du in Deinen herausfordernden und unvorhersehbaren Auszeit-Situationen dennoch die Lebensfreude erkennen und fühlen kannst zeigt, welch überaus empathischer und großartiger Mensch Du bist.
Ich bin sehr dankbar, dass Du diese Deine Sommer-Lebensfreudezeit hier teilst und somit ein großes Vorbild für mich bist.
Danke für das neue Wort „Lebensfreudezeit“.
Ich liebe solche Wortschöpfungen 😉
Hallo liebe Lydia, danke für deine wunderbaren Gedanken! Ja, es ist ein Prozess, die Lebensfreude anders zu entdecken. Sich an anderen Dingen zu erfreuen und nicht zu vergleichen, mit dem was „eigentlich“ die Idee und die Hoffnung war. Zu sehen, was gerade deswegen des Wegs kommt und zu entdecken ist.
Ich könnte auch von deinem Bruder noch lernen, vielleicht werde ich da nie ganz sein. Das ist, finde ich, auch gar nicht notwendig. Die Grundhaltung macht für mich die Lebensfreude aus und die kann ich, können wir, üben:
Sich an die Geschenke und Schönheiten einer Wanderung oder eines Konzerts zu erinnern – und nicht in erster Linie an die Enttäuschung, dass nur eine kleine, gefühlt eher langweilige Wanderung möglich war oder das Konzert nur bis zur Pause machbar.
Sich das vorzunehmen und wirklich immer wieder zu üben, das ist Lebensfreude.
Und dabei gleichzeitig, wie ich sage, „das Und leben“: Die Traurigkeit, die aus den Verlusten entsteht, sehen und fühlen und gleichzeitig offen zu sein für die Schönheiten. Daraus entsteht echte Lebensfreude, ohne Anspruch und ohne Verdrängung.
Das ist meine Erfahrung und auch mein Weg, den mich meine fortschreitende Seheinschränkung lehrt.
Herzlich, Anne
Liebe Anne – ich danke Dir für Deinen Kommentar und die ergänzenden Gedanken.
Du bringst es auf den Punkt: das UND ist der Schlüssel.
Die kleinen Freudefunken erkennen, sie groß werden lassen und noch ein wenig anpusten,
das ist möglich – auch wenn – zur selben Zeit – viel zu bewältigen ist.
Liebe Lydia,
dein Beitrag hat mich berührt – weil echt und ungeschminkt. Ja, gerne hätte auch ich gerne möglichst immer Sonnenschein (sprich Freude) – aber ist das wirklich so? Deine Einsicht, dass du nicht zufriedener aus der Auszeit zurückgekommen wärst, wenn alles nach Plan gelaufen wäre, kann ich nachfühlen. Es zeugt von deiner Reife und inneren Stärke, dass du es so sehen kannst.
Danke fürs Teilen und ich hoffe, du findest noch Tage, an denen du wirklich Urlaub machen kannst und andere Menschen für dich sorgen.
Herzliche Grüße, Korina
Herzlichen Dank, Korina, für Deinen Kommentar.
Dass andere Menschen für mich sorgen – da hast Du tatsächlich genau den Punkt erwischt, nach dem ich mich sehne.
Es ist gut, das auch mal auszusprechen und den Gedanken zuzulassen.
Die Realität dann zuzulassen wird eine echte Herausforderung sein, denn darin bin ich gar nicht mehr geübt.
Danke für Deine Ermutigung!