Türchen 17 Adventskalender 2024

Im Nachtbus

Sommerurlaub 1991.
Wir fahren über Nacht von Palenque nach Veracruz. 9 Stunden Fahrzeit sind geplant. Die Rucksäcke sind – wie immer – auf dem Dach verstaut, die dicken Pullover werden uns vor der kühlen Luft der Klimaanlage schützen und wir hoffen, auf den Sitzen, die man zurückklappen kann, genug Schlaf zu erhaschen, damit wir morgen Veracruz erkunden können. Zwischen den Füßen steht der kleine Tagesrucksack mit den wichtigsten Sachen für unterwegs – inklusive ein bisschen Proviant und Wasserflaschen.

Junior schläft ziemlich schnell ein – ihm steckt noch der Rest der Mandelentzündung in den Knochen, die gerade abklingt. Aber er wird keine 9 Stunden schlafen – da bin ich mir sicher.
Auch auf dieser Fahrt wird irgendwann der Punkt kommen, wo das rausschauen und das Im-Bus-um-sich-Schauen langweilig werden und er einfach keinen Spaß mehr daran hat, mit mir irgendwelche Rate-Aufgaben zu lösen.

Kinderbücher haben wir nicht dabei – zu schwer, um sie jeden Tag weiter zu tragen. Die Reiseführer sind schwer genug. Smartphones gehörten noch nicht zum Reise-Alltag – stattdessen Papier!

Ein Schulheft mit Kästchen-Papier und ein kleines Bündel Buntstifte mit Anspitzer. Das ist natürlich in Juniors Daypack verstaut. Neben einem ganz kleinen Kuscheltier und den vielen bunten geflochtenen Freundschaftsbändchen und den Sorgenpüppchen, die er in San Cristobal gekauft hat. Für die Schulfreunde zuhause. Preise verhandeln kann er besser als ich – inzwischen sogar auf Spanisch.

Die letzten Tage ziehen an meinem inneren Auge nochmal vorbei – diese bunte Vielfalt, dieses unglaublich grüne Chiapas, die Berge, durch die uns die Busse hindurchführen – das leckere Essen zu bezahlbaren Preisen -die freundlichen, zugewandten Menschen in den Bussen – auch mal mit Hühnern im Gepäck …

Nun gut – heute Nacht sind nur Menschen an Bord. Der Nachtbus hat ein bisschen mehr Komfort – den kann sich nicht jeder leisten. Wir sind diesmal nicht die einzigen Touristen.

Ich war eingeschlafen – mit vielen bunten Träumen. Ich wache auf, weil Junior mich anstupst. „Mama, mir ist langweilig! Kann ich malen?“ Mein Lieblingssatz – denn das bedeutet, dass ich nach dem Raussuchen der Malsachen noch ein wenig dösen darf.
Wir haben noch drei Stunden Fahrt vor uns.

Junior ist glücklich, seine Erlebnisse wieder auf Papier bannen zu dürfen. Sein Schulheft enthält schon die herrlichsten Zeichnungen: die Pyramide von Palenque, der Jaguar im Zoo, die Wasserfälle von Agua Azul … Vielleicht brauchen wir demnächst ein zweites Schulheft.

Eins haben alle Bilder gemeinsam: sie entstehen aus quadratischen Elementen. Junior bemalt nämlich die Kästchen des Papiers mit den verschiedenen Farben – und aus diesem Muster entstehen die Motive. Quadrat für Quadrat. Mit Hingabe ans Motiv, an die Erinnerung.
Mit Lächeln und Erzähl-Explosionen: „Mama guck mal – so hat der Jaguar gebrüllt“ – „Die Wasserfälle waren wirklich klasse!

Was gibt’s eigentlich in der Stadt, wo wir jetzt hinfahren?“ Tja – vorbei ist’s mit dem Dösen.
Aber eins steht fest: dieser Tag beginnt mit einem Lächeln – und er wird gut.
Quadratisch – … – gut!

Quadratische Erinnerungen können Lächeln herbeizaubern!

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